FAKT | Das Erste | 12.07.2010 | 21:45 Uhr
Hunger in Deutschland :no:
http://www.mdr.de/fakt/7485585.html
In Deutschland sind elf Millionen Menschen von Armut bedroht. Tausende leben bereits am Existenzminimum. Dabei handelt es sich nicht nur um Obdachlose, sondern auch um Rentner, Witwer, Alleinstehende und Alleinerziehende. Für viele gehört der Hunger inzwischen zum Leben dazu. Und ihre Situation scheint aussichtslos.
Täglich kommen Bedürftige zur Bahnhofsmission am Bahnhof Zoo in Berlin, um sich etwas Essen zu holen. Täglich bildet sich eine Schlange, die zum Monatsende hin immer länger wird. Denn dann ist das Geld knapp oder bereits aufgebraucht. Betroffen sind nicht nur Obdachlose, sondern auch Witwen, Rentner, Alleinerziehende. Die Zahl der ausgegebenen Lebensmittelrationen stieg in den vergangenen sechs Monaten um fast 15 Prozent. Im Juni zählte die Bahnhofsmission etwa 1.000 Menschen mehr als im Vorjahresmonat. Das war ein Anstieg von 28 Prozent. Dieter Puhl von der Bahnhofsmission weiß, dass viele der Bedürftigen lange Anfahrtswege für die eine Mahlzeit in Kauf nehmen.
„Es kommen Menschen aus Köpenick, aus Zehlendorf, aus Spandau. Sie stehen um 4 Uhr morgens auf, um um 6 Uhr in der Bahnhofsmission ein paar Stullen zu bekommen.“
Karitativen Einrichtungen als Anlaufstelle
Auch andere karitative Einrichtungen wie Suppenküchen und Tafeln haben derzeit großen Zuspruch. So macht etwa Rentnerin Heidrun Dietz vom Angebot für ein kostenloses Essen Gebrauch. Obwohl sie 45 Jahre gearbeitet hat, ist ihre Rente zu klein. Drei Euro hat sie täglich für Lebensmittel. In ihrem Kühlschrank befinden sich lauter Almosen. Ohne die Essensration von der Kirche könnte sie nicht überleben. Oft stellt sich Heidrun Dietz schon zwei Stunden vor Öffnung bei der Kirche an, um sich ihr Essen abzuholen.
Essenssuche in der Mülltonne
Dass viele Menschen in Deutschland Hunger leiden, zeigt sich auch an anderer Stelle. Vor allem in größeren Städten kann man beobachten, dass Menschen in Papierkörben und Mülleimern nach Essbarem suchen. Für Petra Schöps aus Berlin sind diese Bilder keine Seltenheit. Die Besitzerin einer Imbissbude erzählt FAKT, dass es sich bei den Bedürftigen keineswegs nur um Obdachlose handelt. Oft seien es ordentlich gekleidete Menschen, die in die Mülleimer griffen, um nach einem angebissenen Brötchen, einer halben Wurst oder Pommesresten zu suchen.
„Und wenn sie was gefunden haben, dann essen sie es auf oder nehmen es mit. Für uns, die wir das nicht nötig haben, ist das schlimm zu sehen.“
Bald amerikanische Verhältnisse in Deutschland?
Von Armut betroffen sind oft Menschen, die von Sozialleistungen leben. Nach Ansicht von Experten kann man mit den Regelsätzen für einen begrenzten Zeitraum auskommen, aber nicht auf Dauer. Doch anders als noch vor 20 Jahren ist Armut heute von langfristiger Natur. Das sagt Rudolf Martens, Wissenschaftler beim Paritätischen Wohlfahrtsverband. Er befürchtet, dass sich die Gesellschaft in Deutschland in Teilen auf amerikanische Verhältnisse zu bewegt.
„Und wenn sie was gefunden haben, dann essen sie es auf oder nehmen es mit. Für uns, die wir das nicht nötig haben, ist das schlimm zu sehen.“
Bis sich die Menschen ihren Hunger eingestehen, dauert es oft lange. Vielen ist es auch peinlich, sich bei karitativen Einrichtungen Essen zu holen. Doch ihre finanziellen Mittel lassen ihnen keine andere Wahl.
Videobeitrag des Beitrags im Internet
http://www.mdr.de/fakt/7485969.html
Erfahrungen einer Wurstverkäuferin
http://www.mdr.de/fakt/7485917.html
Manuskript der Sendung:
Siehe auch Programmhinweis: Fakt – Hungern in Deutschland
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