Alle Jahre wieder?
Eine Hartz-IV-Weihnachtsgeschichte U-(
„Alle Jahre wieder macht sich im Dezember Weihnachtsstimmung breit. Die Weihnachtsmärkte versenden Duftschwaden, die Appetit auf Glühwein und kandidierte Äpfel machen, durch die Städte. In Fenstern leuchten Schwibbögen und in so manchem Haus wird in dieser Zeit die Weihnachtskrippe aufgebaut, mit dem Kind in der Krippe, mit Hirten, Schafen und Eseln und den drei heiligen Königen Caspar, Melchior und Balthasar, die Weihrauch, Myrrhe und Gold bringen.
Wie würde sich die Weihnachtsgeschichte anhören, wenn man sie nach den Regelungen des Sozialgesetzbuches II, also auf Hartz-IV-Niveau neu erzählen würde?
Für den Fall, dass Joseph und Maria auf Hartz IV angewiesen wären, hätten sie auf keinen Fall an einem Wochentag aufbrechen können. Schließlich gilt das Prinzip der örtlichen Erreichbarkeit. Erwerbslose müssen jederzeit erreichbar sein und dürfen den Wohnort nur verlassen, wenn sie Urlaub beim Arbeitsamt einreichen. Wer dagegen verstößt, muss mit Sanktionen, also Kürzungen des Regelsatzes, rechnen. Einmal angekommen in Bethlehem, wäre Joseph und Maria tatsächlich nur eine Notunterkunft geblieben, denn Übernachtungen, sei es in der Jugendherberge oder auf dem Campingplatz, sind im Hartz-IV-Regelsatz nicht vorgesehen.
Schafe, Esel und all die anderen netten Tiere, die jede Krippe zieren, sind in der Welt von Hartz IV nicht vorgesehen: Denn das Halten von Haustieren, sei es nun ein Hamster oder der Hund, den man aus dem Tierheim geholt hat, gilt als nicht regelsatzrelevant. Nicht regelsatzrelevant meint: Schwarz-Gelb ist bei der Berechnung der Regelsätze davon ausgegangen, dass diese Ausgaben einem Erwerbslosen nicht zustehen und deshalb nicht in die Neuberechnung des Regelsatzes mit einfließen.
Mit den Gaben der Heiligen Drei Könige ist das so eine Sache in der Hartz-IV-Welt: Gold wäre sofort als Vermögenswert anzugeben und würde angerechnet werden. Ebenfalls angerechnet werden übrigens Vergütungen für Ehrenämter und Darlehen. Wenn die Oma also Geld leiht, damit das Kind ein Fahrrad bekommen kann, verringert dies den Regelsatz.
Myrrhe ist ein Heilkraut, das könnte die Familie nun wahrlich gut gebrauchen. Aber selber anpflanzen kann man Heilkräuter nicht, denn Gartenarbeiten, Zimmerpflanzen und Schnittblumen gelten als nicht regelsatzrelevant. Wer dafür Geld ausgeben will, muss es an anderen Stellen einsparen. Die Frage ist nur wo? Für Bus und Bahn sind gerade einmal 18,41 Euro vorgesehen. Davon bekommt man selbst in den meisten Städten, in denen es Sozialtickets gibt, keine Monatskarte.
Auch der kandierte Apfel auf dem Weihnachtsmarkt ist nicht vorgesehen, gilt er doch als Essen außer Haus. Der Glühwein enthält Alkohol und wurde schon deshalb vom Hause von der Leyen herausgerechnet. Und wer meint, nun könne man wenigstens einen kleinen Weihnachtsbaum aufstellen, der irrt. Auch dieser wurde von Schwarz-Gelb gestrichen.
Oh Tannenbaum, oh Tannenbaum, mit Hartz IV ist aus der Traum!
Steht zu befürchten, dass sich das ganze schöne Fest in Rauch auflöst. Aber ach, Rauchen wurde ja auch aus den »Sozialregelungen« gestrichen “
Von Katja Kipping, veröffentlicht im Neuen Deutschland am 24.12.2010.
Links: http://www.neues-deutschland.de/artikel/187218.alle-jahre-wieder.html
Im Internet nachlesen, guckst Du auch hier:
http://www.katja-kipping.de/article/388.alle-jahre-wieder..html
Dez 28, 2010 @ 08:09:05
Am miesesten finde ist, dass ich nicht mal einem Kind ein Fahrrad oder eine Jacke schenken kann, indem ich es selber gleich bezahle und die Fam. folglich gar kein Geld erhält. Denn auch das wird als zusätzliches Einkommen gewertet und vom RS abgezogen.
Hier kann man wirklich nur noch sagen; Scheiß Regierung!
Volkmar 😦
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Dez 28, 2010 @ 08:15:42
Sehr gelungener Artikel, Katja halte ich für sehr authentisch und glaubwürdig.
LG
Dinki
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Dez 28, 2010 @ 10:57:55
http://eis-zeit-info.de/wordpress/?p=988
Was ist Würde, was macht sie aus, was beinhaltet sie, worauf beruht sie? Und darüber hinaus:
Wem wird sie zugestanden?
Wie aus gut informierter Quelle im Armutsministerium bekannt wurde, soll die geplante Hartz-IV-Erhöhung von 5,00 (für Alleinstehende) im kommenden Jahr nicht als Geldleistung, sondern nur als Hotel-Gutschein ausgezahlt werden
http://wp.me/p1esOD-3q
Grüße aus Düsseldorf
Klaus
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Dez 28, 2010 @ 17:17:35
Wie sich eine Weihnachtsgeschichte unter den Regelungen des deutschen Sozialgesetzbuches anhört, ist auf dem Satiren-Blog nachzulesen [hier >>].
Viel Spaß bei der Lektüre dieser Weihnachtsgeschichte.
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Dez 29, 2010 @ 23:00:34
Ja Volkmarml, dass musst Du dann heimlich machen. Noch schlimmer wird s, wenn Du dringend Medikamente benötigst, die „nicht“ verschreibungspflichtig sind und die Krankenkassen deshalb die Kosten nicht tragen. Dann muss alles heimlich passieren.
Und dabei ist es vollkommen egal, ob Dir droht dein Augenlicht zu verlieren oder Du sogar zu Tode kommst. Es wird gekürzt was das Zeug hält.
Möglichst schnell verecken sollen sie die Ärmsten, damit Frau von der Lügen keine Kosten hat.
Hartz IV zeigt überdeutlich, dass der deutsche Faschismus nie aufgearbeitet wurde
LG Hoelderlin
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