"Freistatt" – Ein Spielfilm zeigt jetzt die Qualen der ehemaligen Heimkinder in der Bundesrepublik

„Freistatt“ – Ein Spielfilm zeigt jetzt die Qualen der ehemaligen Heimkinder in der Bundesrepublik

Wolfgang: Das ist der Sohn vom Ex, ein unbequemes Kind, lästig. Die Lösung des Stiefvaters: Erziehungsheim. Geschehen 1968: Es ist die Zeit von Rock’n’Roll und Studentenrevolte. Und Wolfgang hat keine Ahnung, was auf ihn zukommt im Heim „Freistatt“, südlich von Bremen. Jetzt hat sich Regisseur Marc Brummund dieses Themas angenommen. Sein Film „Freistatt“ erzählt die Geschichte von Wolfgang Rosenkötter, der in diesem Heim in Freistatt „Zögling“ war. Für ihn war es wichtig, dabei zu sein bei den Dreharbeiten am Originalschauplatz. Er will zeigen, dass er kein Einzelschicksal ist.

40 Jahre lang war Rosenkötter nicht in der Lage, darüber zu sprechen.“Man ist der Junge wieder von früher und das macht natürlich auch Schmerzen, auch körperliche“, sagt der ehemalige Heiminsasse heute. „Das morgendliche Aufstellen, die Kommandos, die ständigen, das bleibt. Diese ganzen kleinen physischen und psychischen Demütigungen, die schwere Arbeit, das ständige Schlagen – diese Angst hat sich dann hier vom ersten bis zum letzten Tag fortgesetzt.“

Langes Schweigen über Misshandlungen

Der Film erzählt eindringlich, was über einer halben Million Kinder angetan wurde – in kirchlichen und staatlichen Heimen der Bundesrepublik und das bis Anfang der 70er Jahre. Öffentlich wurde das erst 40 Jahre später: Das Buch „Schläge im Namen des Herrn“ des Journalisten Peter Wensierski brachte die Misshandlungen 2006 erstmals an die Öffentlichkeit. Was folgte, war ein Runder Tisch des Deutschen Bundestages und leider eine für die Opfer kaum befriedigende Entschädigung.

Seitdem hat auch Regisseur Marc Brummund dieses Thema nicht mehr losgelassen. Er hatte nie zuvor von Freistatt gehört, obwohl er nur wenige Kilometer vom Heim entfernt aufgewachsen ist. „Ich selbst habe eine sehr glückliche Kindheit da verbringen dürfen und die Vorstellung, dass es vielen, vielen Kindern und Jugendlichen in der Zeit sehr viel anders ging. Das hat mich schon sehr bewegt“, so Brummund.

Keine Chance zur Flucht

Wo kurz zuvor ein Arbeitslager für Jugendliche war, hat der Regisseur als Kind Moorwanderungen gemacht. Die Diakonie Freistatt in Niedersachsen galt als eine der härtesten Einrichtungen und als Endstation vieler Heimkarrieren: Statt Schule Torfabbau, statt Fürsorge den Willen brechen, systematisch, sechs Tage die Woche, morgens bis abends: „Man musste in den ersten drei Monaten, in denen man hier war, so Holzstiefel tragen, dass man nicht weglaufen konnte“, erinnert sich Rosenkötter. „Und das war besonders schwer dann dort zu arbeiten, weil das Moor hat ja immer auch runtergezogen, der Torf war ja glitschig, der Untergrund. Aber man wurde dann immer wieder angetrieben von den Erziehern.“

Eine Flucht durch die Moorlandschaft war fast unmöglich. Völlig abgeschieden liegt dieser Ort: Was hier passiert ist, hat kaum einer mitbekommen. Freistatt ist eine der ersten Anstalten, die sich – wenn auch erst seit zehn Jahren – zu ihrer Vergangenheit bekennt. Zwangsarbeit – auch im Winter, mit abgefrorenen Fingern.

Dokumentationszentrum gegen das Vergessen

Wolfgang Rosenkötter baut heute in Freistatt ein Dokumentationszentrum auf. Damit die Geschichte nicht vergessen wird. Wie der christliche „Bruder“ sie hier auch nachts durchs Fenster überwachte. Totale Kontrolle, Ausbeutung und Misshandlung – das Erbe des Nationalsozialismus? Der Film macht deutlich, wie so ein System funktioniert, das die Jugendlichen dazu bringt, sich auch noch gegenseitig zu quälen.

Die Schauspieler machen das Leiden und die Einsamkeit der Jungen beeindruckend spürbar. „Da wurde untereinander aufgepasst“, so Brummund, „da gab es Vertrauensjungen für die Erzieher, die letztendlich immer geschnüffelt haben, wenn sich zwei Jungs zu sehr angefreundet haben. Und so ist auch gar keine Nähe entstanden. Und das führte zusätzlich zu der physischen Härte noch zu einer psychischen Verrohung und Härte.“

„Freistatt“: Ein Film, der klar macht, warum es wichtig ist, dieses traurige Kapitel unserer jüngeren Geschichte endlich vollständig aufzuklären – nicht nur für die mehr als 600.000 ehemaligen Heimkinder.
Autorin: Katja Deiß

„Freistatt“
Regie: Marc Brummund
mit Louis Hofmann, Alexander Held, Stephan Grossmann u.a.
Länge: 108 Min.
FSK ab 12 freigegeben
Kinostart: 25.6.2015

ARD / Titel, Thesen, Tempramente / ttt 14.06.2015

http://www.daserste.de/information/wissen-kultur/ttt/sendung/sendung-vom-14062015-112.html

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit Deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Twitter-Bild

Du kommentierst mit Deinem Twitter-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit Deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s

Schlagwörter

Bürgerarbeit Empört Euch-Demokratie jetzt Gegen Hartz IV Regelsätze klagen Veranstaltungshinweise für Hambur&# Verletzung der Menschenwürde Wir zahlen Nicht für Krise Altersarmut in Deutschland Altersarmut in Deutschland; Armut in Deutschland; Arbeitslosigkeit in Deutschland; Hartz IV Arbeitslosigkeit in Deutschland Arbeitslosigkeit in Deutschland; Armut in Deutschland; Hartz IV Arbeitslosigkeit in Deutschland; Armut in Deutschland; Hartz IV; Sanktionen; Ein - Euro - Jobs; Zwangsarbeit Arbeitslosigkeit in Deutschland; Hartz IV Arbeitslosigkeit in Deutschland; Hartz IV; Ralph Boes; Sanktionen Arbeitslosigkeit in Hamburg Armut in Deutschland Armut in Europa Armut in Hamburg Atomkraft Nein Danke Bundestagswahl 2013 Debatten im Deutschen Bundestag Deutschland im Umbruch Deutschlands neue Arbeitswelt DGB Die Absageschreiben der Arbeitgeber Die Linke Die Linke Hamburg Die Linke Hamburg Veranstaltungshinweise Die Tafeln Direkte Demokratie ehemalige Heimkinder Ehrenamt Ein-Euro-Jobs Erwerbslosenforum Freitodbegleitung Gerecht geht anders in Kiel Gestorben Gesundheitspolitik Griechenland und kein Ende Grundeinkommen Hartz IV Hartz IV; Arbeitslosigkeit in Deutschland; Sanktionen Hartz IV in Hamburg Hartz IV Urteil Hetze gegen Arbeitslose In Deutschland tut sich was Institut Solidarische Moderne Krach schlagen statt Kohldampf schieben Kulturloge Hamburg Liebe Marcel Kallwass Meine Musik Mietwucher Moin Moin Montagsdemo Occupy Piratenpartei Politikverdrossenheit Politische Intervention Programmhinweise Sanktionen Sanktionsmoratorium Schuldenkrise in Deutschland Sozialer Sprengstoff Sozialstaatsdebatte Sozialwacht Dresden Sparpaket Sterbehilfe Stuttgart 21 Veranstaltungshinweise Wahlen in Hamburg 2011 Was ist Revolution WDR 5 Wohnungsnot in Deutschland Zeitarbeit - Moderne Sklaverei Zwangsverrentung

Schlagwörter

Bürgerarbeit Empört Euch-Demokratie jetzt Gegen Hartz IV Regelsätze klagen Veranstaltungshinweise für Hambur&# Verletzung der Menschenwürde Wir zahlen Nicht für Krise Altersarmut in Deutschland Altersarmut in Deutschland; Armut in Deutschland; Arbeitslosigkeit in Deutschland; Hartz IV Arbeitslosigkeit in Deutschland Arbeitslosigkeit in Deutschland; Armut in Deutschland; Hartz IV Arbeitslosigkeit in Deutschland; Armut in Deutschland; Hartz IV; Sanktionen; Ein - Euro - Jobs; Zwangsarbeit Arbeitslosigkeit in Deutschland; Hartz IV Arbeitslosigkeit in Deutschland; Hartz IV; Ralph Boes; Sanktionen Arbeitslosigkeit in Hamburg Armut in Deutschland Armut in Europa Armut in Hamburg Atomkraft Nein Danke Bundestagswahl 2013 Debatten im Deutschen Bundestag Deutschland im Umbruch Deutschlands neue Arbeitswelt DGB Die Absageschreiben der Arbeitgeber Die Linke Die Linke Hamburg Die Linke Hamburg Veranstaltungshinweise Die Tafeln Direkte Demokratie ehemalige Heimkinder Ehrenamt Ein-Euro-Jobs Erwerbslosenforum Freitodbegleitung Gerecht geht anders in Kiel Gestorben Gesundheitspolitik Griechenland und kein Ende Grundeinkommen Hartz IV Hartz IV; Arbeitslosigkeit in Deutschland; Sanktionen Hartz IV in Hamburg Hartz IV Urteil Hetze gegen Arbeitslose In Deutschland tut sich was Institut Solidarische Moderne Krach schlagen statt Kohldampf schieben Kulturloge Hamburg Liebe Marcel Kallwass Meine Musik Mietwucher Moin Moin Montagsdemo Occupy Piratenpartei Politikverdrossenheit Politische Intervention Programmhinweise Sanktionen Sanktionsmoratorium Schuldenkrise in Deutschland Sozialer Sprengstoff Sozialstaatsdebatte Sozialwacht Dresden Sparpaket Sterbehilfe Stuttgart 21 Veranstaltungshinweise Wahlen in Hamburg 2011 Was ist Revolution WDR 5 Wohnungsnot in Deutschland Zeitarbeit - Moderne Sklaverei Zwangsverrentung
Der Blogwart 2.0

Wollte ursprünglich mal über nette Hobbies schreiben, bin dann aber in der "Twilight Zone" des politischen Alltags gelandet.

Sozialsystem Schweiz

Eine unzensierte Kommunikation zwischen einem Sozialhilfeempfänger und dem Sozialamt Bern und Ämter. Dieses Archiv (Mirror1) ist den BGE Generationen gewidmet (Quelle: tapschweiz.blogspot.ch)

Der Blogwart 2.0

Wollte ursprünglich mal über nette Hobbies schreiben, bin dann aber in der "Twilight Zone" des politischen Alltags gelandet.

Sozialsystem Schweiz

Eine unzensierte Kommunikation zwischen einem Sozialhilfeempfänger und dem Sozialamt Bern und Ämter. Dieses Archiv (Mirror1) ist den BGE Generationen gewidmet (Quelle: tapschweiz.blogspot.ch)

%d Bloggern gefällt das: