Voll sanktioniert: Hartz-IV-Aktivist Boes will jetzt »im Zentrum des geballten Reichtums« hungern
Susan Bonath
Der auf Null sanktionierte Berliner Hartz-IV-Aktivist Ralph Boes will seine am 1. Juli begonnene Hungeraktion öffentlich fortsetzen. Dafür habe er sich »ein Zentrum des geballten Reichtums« ausgesucht: das Luxushotel Adlon am Brandenburger Tor. Vor dessen Pforte werde er ab Mittwoch täglich zwischen 18 und 21 Uhr sitzen, erklärte der 58jährige am Montag gegenüber jungeWelt . Auf dem Tisch vor ihm werde eine Karaffe mit Wasser stehen, daneben ein zweiter leerer Stuhl. »Wer mit mir reden will, kann sich dazusetzen.« So wolle Boes zeigen, wie Hartz IV Erwerbslosen die Würde raube. »Wie jedem Betroffenen, der sich nicht komplett unterwirft, wird mir die Existenzgrundlage entzogen, um ein bestimmtes Verhalten zu erzwingen«, betonte er. Der Ausgang der für einen Monat angemeldeten Aktion sei offen. »Ich bin auf alles vorbereitet.«
Anlass sei, so Boes, die Beschlussvorlage, die das Sozialgericht Gotha Ende Mai in Karlsruhe eingereicht hat. Es erklärte damit die Hartz-IV-Sanktionen für verfassungswidrig. Das Papier erarbeiteten die Juristen Wolfgang Neskovic und Isabell Erdem im Auftrag der Initiative »Wir sind Boes«, die sich für das bedingungslose Grundeinkommen einsetzt. »Mein Ziel war, die Sanktionspraxis vor das Bundesverfassungsgericht zu bringen«, berichtete Boes. Nachdem das erreicht sei, fühle er sich »nicht mehr befugt, auf Kosten Dritter zu überleben«. Seine Initiative habe ihm bisher finanziert, was ihm entzogen wurde: Einraumwohnung, Krankenversicherung, Nahrung. »Ab jetzt lege ich mein Leben in die Hand des Jobcenters«, erklärte er. Andere Betroffene hätten schließlich auch kein Bündnis im Rücken.
Sanktioniert wird Boes seit Sommer 2012. Damals, ein Jahr, nachdem er seinen Arbeitsplatz an den Nagel gehängt und seinen »Brandbrief gegen Hartz IV« veröffentlicht hatte, kürzte ihm das Jobcenter Berlin-Mitte zunächst 30 Prozent vom Regelsatz. Kurz darauf ging es weiter mit 60 Prozent, danach mit 100 Prozent. Im jüngsten Bescheid auf Boes´ Widerspruch gegen seine siebte Vollsanktionierung listet das Amt die Reihenfolge selbst auf. Und rechtfertigt sie: Er habe »Angebote« abgelehnt, Eingliederungsvereinbarungen (EGV) nicht unterzeichnet, per amtlichem Verwaltungsakt erlassene Auflagen nicht eingehalten, zuletzt die geforderten zehn Bewerbungen pro Monat nicht vorgelegt. »Es muss uns klar werden: Nichtgehorchen reicht, um einem Menschen die Existenzsicherung zu streichen«, betonte der Aktivist. Er vermutet, das Hartz-IV-Modell könne bald ein gesamteuropäisches werden. »Das ist ein Krieg gegen Arme.«
Ausführlich beschreibt das Jobcenter, was Unwilligen blüht: Bei der »ersten wiederholten Pflichtverletzung« binnen eines Jahres werde die Leistung um 60 Prozent, bei jeder weiteren um 100 Prozent gekappt. »Davon sind alle (…) Leistungsbestandteile einschließlich der Kosten für Unterkunft und Heizung sowie der Beiträge für Kranken- und Pflegeversicherung umfasst.« Boes erfülle diese Voraussetzungen. Das Strafmaß sei ferner »verfassungsrechtlich gedeckt«, beteuert das Amt. Der Träger könne schließlich ab einer 30prozentigen Sanktion auf Antrag Sachleistungen gewähren. Das heißt: Es liegt im Ermessen eines Mitarbeiters, ob es Lebensmittelgutscheine gibt. Boes lehnt diese als »entwürdigend« ab. Sie würden zudem nicht überall angenommen und schützten nicht vor Obdachlosigkeit. Gegen letztes helfe nachträglicher Gehorsam, argumentiert dagegen das Berliner Jobcenter. So könne »der Wegfall von Leistungen in eine 60prozentige Minderung abgemildert werden«, wenn der Bestrafte sich im nachhinein bereit erkläre, »seinen Pflichten nachzukommen«. Demnach gibt es, entgegen der Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts in einem Urteil von 2010, kein »unverfügbares Grundrecht« auf das Existenzminimum. JungeWelt wollte es vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales und der Bundesagentur für Arbeit genau wissen. Beide Behörden antworteten bis zum Redaktionsschluss am Dienstag nicht.
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