Süddeutsche Zeitung vom 11.11.2010, S. 12
Jens Bisky
Bei Anruf Kunst – Die Kulturloge Berlin fordert die politische Trägheit heraus :DD
Es wurde Zeit. Nach Krisenausbruch ist über die Kürzungen der Kulturausgaben so viel und über die sinnvolle Verwendung der Gelder so wenig geredet worden, dass nun andere Töne notwendig sind. Seit April dieses Jahres [2010] arbeitet in Berlin erfolgreich die gemeinnützige Initiative Kulturloge. Sie ermöglicht Menschen mit geringem Einkommen den kostenlosen Zugang zu Kulturveranstaltungen. Die mehr als 30 Mitarbeiter – beinahe ausschließlich Frauen -, mit denen die Initiatorin und Unternehmerin Angela Meyenburg ans Werk geht, arbeiten ehrenamtlich. 4000 Gäste haben sie bereits registriert, die Liste der beteiligten Veranstalter reicht vom Admiralspalast und von Alba Berlin bis zum Kino Sputnik am Südstern und dem Radialsystem.
Die Kulturloge Berlin verfährt ein wenig anders als die bekannten Kulturpass-Initiativen. Sie kooperiert mit sozialen Einrichtungen wie der Berliner Tafel, dem christlichen Kinderund Jugendwerk Die Arche, der Suchtselbsthilfe Synanon oder dem SOS Kinderdorf Berlin, nutzt also bestehende Netzwerke. Über diese Einrichtungen werden Interessenten geworben und schriftlich angemeldet, dann in einer Datenbank erfasst. Dabei wird auch festgehalten, wofür sie sich interessieren: Theater, Kino, Rock & Pop, Volksmusik oder Lesungen. Die Loge pflegt mit gutem Grund den allerweitesten Kulturbegriff (www.kulturloge-berlin.de). Sie will anderen nicht vorschreiben, was sie am Abend tun sollen.
Der schwierigste Teil der Arbeit war es, Veranstalter zu gewinnen. Diese bieten der Loge Karten an, von denen sie wissen, dass sie diese nicht mehr werden verkaufen können. Die Frauen der Kulturloge, unter ihnen Journalistinnen a Zehlendorf und Absolventinnen der Universität Potsdam rufen nun die in der Datenbank und auf der Warteliste stehenden Menschen an, der Kulturveranstalter erhält eine Gästeliste. Ohne durch das Vorzeigen eines Passes oder Berechtigungsscheines als bedürftig identifizierbar zu werden, erhalten die Kulturlogen – Gäste ihre Karten. Viele melden sich anschließend und berichten, wie sie den Abend fanden.
Die Veranstalter haben also nicht nur leere Plätze besetzt – und im Theater wie im Konzert wird die Vorstellung durch jeden unbesetzten Platz schlechter. Sie bekommen obendrein und ohne weitere Kosten eine rasche Rückmeldung und ein wenig Werbung. Hätten sie die Karten nicht vergeben, hätten sie höchstens ein paar Cent Steuern sparen können. Kinos beteiligen sich bisher kaum, was an den Filmverleihern und den Abrechnungsregeln liegt. Die großen Theater, die in Berlin den Löwenanteil des Kulturhaushaltes verbrauchen, sind auch nicht dabei, obwohl die Auslastung Spielraum dafür ließe. Bilanzgründe, heißt es. Kameralistik oder doch Trägheit?
Man muss nicht Betriebswirtschaft studiert haben, um unverzüglich zu sehen, dass die Kulturloge auch straffer organisiert und effizienter geführt werden könnte: Kommunikation nur per Mail – dann wären aber die alten Armen draußen; Kartenausgabe mit Anstellen zu fester Stunde – das ähnelte einem Almosen; Mitgliedsbeitrag und ausweis dann unterschiede man sich kaum noch vom Berlinpass und anderen Vergünstigungssystemen.
Die Kulturloge Berlin operiert bewusst umständlicher, ein wenig anders als andere, aber dieses wenig mehr an Radikalität reicht, um entscheidende Fragen sichtbar werden zu lassen. Entscheidend für alle, die Kulturpolitik unterhalb der Königsebene – Weimar, Bayreuth, Preußenerbe – betreiben, für Kulturpolitiker in den Kommunen und Ländern. Dann steht die Frage, wie wir mit den Armen und Ausgeschlossenen umgehen wollen, welches Selbstbild unsere Kultureinrichtungen haben und wie neue Orte des sozialen Zusammenhalts geschaffen werden können. Diese Fragen wirft die Arbeit der Kulturloge auf, demnächst auch in Hamburg, Essen, Köln und Leipzig.
Auf Augenhöhe wolle man, sagt Angela Meyenburg, den Logen-Gästen begegnen, den Menschen mit wenig Geld, weniger als 900 Euro im Monat. Der deutsche Sozialstaat hält es sehr oft anders. Arbeitsagenturen und Sozialämter sorgen sich regelmäßig darum, die Machtunterschiede zwischen Bürger und Verwaltung deutlich und überdeutlich werden zu lassen. Sie tun dies – mit zu wenigen Ausnahmen – selbst dann, wenn das obrigkeitsstaatliche Getue die Erreichung des Behördenzwecks gefährdet. Dass der Sozialstaat immer teurer wird, hat auch damit zu tun, mit dieser Atmosphäre des Kleinkriegs.
An Spielregeln muss sich auch in der Kulturloge jeder halten, aber diese sichern die Fairness des Verfahrens, dienen nicht der Demütigung der Beteiligten. Die Debatte über die Unterschicht lebt ja, je länger, je mehr, von einer infamen Paradoxie: Zum einen wird auf Pädagogik gesetzt, Anleitung und Zurechtweisung von Morgen bis Mittemacht. Zum anderen aber wird den pädagogisch Kontrollierten ingrimmig versichert, sie besäßen nur geringe Chancen, ihrem Schicksal zu entgehen. Schicksal: Das sind die Herkunft, das Milieu, die Religion, die Gene. Die Kulturloge durchschlägt diese Paradoxie. Sie ruft an und lädt zum Konzertbesuch. Dabei kann auch der Gast planen. Inhabern des Berlin Passes dagegen passiert es schon, dass sie keine Karten mehr bekommen. Für eine mit Teenagern angereiste Mutter kann es arg demotivierend sein, nach zwei Stunden Nahverkehr und Warten erfolglos umkehren zu müssen. Angela Meyenburg weiß aber zu berichten, dass – hier und da und durch gute Fügung – Kulturlogen-Gäste als Kaufkartengäste später wieder in das Theater gingen, das sie überzeugt hatte.
Die Kulturloge interpretiert den alten Slogan Kultur für alle neu, indem sie die Veranstalter an ihre Aufgabe, ihren Bildungsauftrag erinnern. Mit der Forderung nach der Demokratisierung von Kultur ist vor vierzig Jahren allerlei Schindluder getrieben worden. Man wollte Kunst verständlich machen und trieb ihr ihre Schwierigkeit aus und mit dieser ihre Schönheit. Demokratisierung ist nur sinnvoll, wenn sie nicht nach dem Konsum – Modell verfährt, sondern nach dem Beispiel der Künstler, die sich – man kann es bei Wagner, George, Brecht und Beuys studieren – ihre Hörer, Leser, Zuschauer bilden und formen. Die Kulturloge ermöglicht den Zugang, zeigt aber auch neue Wege, das Publikum heranzuziehen und zu binden, statt es durch Massierung der Mittel und Festivalisierung zu überwältigen.
Die kulturtragenden Mittelschichten haben im vergangenen Jahrzehnt viel Energie in die Grenzziehung nach unten investiert und dabei, wie es ihre Art ist, viel geredet. Neben richtigen Beobachtungen wurden Ressentiments laut über Bildungsferne, Bücherlose, über all die ohne Anstrengung dahinlebenden TV-und Spielekonsole – Existenzen. Die Abgrenzung war erfolgreich, die Mitte wirkt seitdem allerdings nicht ästhetisch sachkundiger, belesener und kultivierter. Sie wirkt lediglich verkrampfter.
Die sich für die Kulturloge engagieren, akzeptieren dieses Ergebnis nicht. Sie wollen Theater, Konzertsäle, Räume, in denen der Bankier neben der Oma, der Angestellte neben dem Arbeitslosen sitzt. Das ist freilich nur ein Traum, über den sich bestens witzeln lässt. Ohne dieses Leitbild aber kann es keinen Grund für die öffentliche Finanzierung der Kultur geben.
Kontakt:
Julia v. Weymarn
http://www.kulturloge-hamburg.de
Tel. 040 65 03 39 32
info@kulturloge-hamburg.de
Im Original nachlesen, guckst Du hier:
http://www.kulturloge-hamburg.de/download.php?f=b5bcceac25513d45e89205d22289cbeb&target=0
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