Extrablatt – Die Zeitung der Erwerbsloseninitiativen Einkommen zum Auskommen – Ausgabe: August / September 2010 🙄
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Liebe Leserin, lieber Leser,
es steht sehr viel auf dem Spiel. Im Herbst wird über das zukünftige Einkommen von Millionen von Beschäftigten, Rentnern und Erwerbslosen entschieden: Werden Sozialleistungen massiv gekürzt und die Reichen geschont? Wie hoch soll Hartz IV zukünftig sein? Wird Armut trotz Arbeit weiter zunehmen?
Wir informieren Sie in dieser Zeitung über die Folgen der Regierungspolitik und darüber, wie es ganz anders gehen könnte.
Viele empfinden die Politik von Merkel und Westerwelle als zutiefst ungerecht. Doch solange alle nur zuhause jammern, wird sich nichts ändern. Mit dieser Zeitung laden wir Sie ein: Demonstrieren Sie mit uns am 10. Oktober in Oldenburg. Beteiligen Sie sich an den Protesten der Gewerkschaften im Herbst.
Die schwarz-gelbe Bundesregierung ist angezählt. Selbst wirtschaftsfreundliche Politiker der CDU schlagen nun vor, den Spitzensteuersatz zu erhöhen als Signal für mehr Ausgewogenheit. Und schließlich wollen wir Sie über Ansprüche auf Sozialleistungen informieren.
Diese Zeitung enthält Tipps, die bares Geld wert sein können. Wir freuen uns, wenn Sie uns Ihre Meinung zu dieser Zeitung schreiben:
Gesund geht anders
3,94 Euro pro Person sieht Hartz IV für Essen und Trinken an einem Tag vor. Das zwingt zur ungesunden Ernährung. Die Mangelernährung wird jedoch vertuscht. Von Rainer Roth.
Schleichender Entzug von Mitteln für Essen und Trinken ist das Rezept von Hartz IV. 2010 ist dafür in den Regelsätzen real 12,5 Prozent weniger drin als noch 2005, für Alleinstehende heute 3,94 Euro aktuell pro Tag, bei Paaren 3,54 Euro pro Person. Die Zahlen sind das Ergebnis der sogenannten Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS), die das Statistische Bundesamt alle fünf Jahre durchführt. Die diesjährigen Zahlen weisen aus, dass Alleinstehende aus dem untersten Fünftel der Einkommensgruppen der EVS, welche nicht auf staatliche Unterstützungsleistungen angewiesen sind, 3,94 Euro für Essen und Trinken ausgeben.
Und was dieses untere Fünftel für Ernährung ausgibt, sieht der Staat als soziokulturelles Existenzminimum. Würde die Stichprobe ergeben, dass diese Menschen zwei Euro pro Tag für Essen und Trinken ausgeben, einfach, weil sie nicht mehr zur Verfügung haben, wäre dies das Existenzminimum, obwohl kein Mensch davon leben könnte. Tatsächliche Bedarfe lassen sich so nicht ermitteln.
Je 1,58 Euro für Mittag- und Abendessen und 78 Cent für Frühstück, Getränke inklusive, sollen dem soziokulturellen Existenzminimum entsprechen. Zwei Drittel erklären in Umfragen, damit sei gesunde Ernährung nicht möglich. Sie haben recht. Kalorienmenge nur durch ungesunde Ernährung
Was ein Mensch für gesunde Ernährung braucht, hat das Forschungsinstitut für Kinderernährung (FKE) in Dortmund für Mai 2007 untersucht. Zugrunde gelegt wurden Mittelwerte der Preise von Discountern und Supermärkten. Fortgeschrieben bis Juli 2010 braucht jeder Mensch 2,55 Euro pro 1.000 Kilokalorien (kcal). Hartz IV gesteht also Alleinstehenden gerade mal 1.545 Kilokalorien zu. Damit kann ein Durchschnittserwachsener, wenn er sich gesund ernähren will, nicht mal die Funktionen des Herzens, der Verdauung und des Hirns im Ruhezustand aufrecht erhalten. Diese Lage zwingt Hartz IV-Bezieher dazu, sich entweder ungesund zu ernähren, um halbwegs auf die nötige Kalorienmenge zu kommen, und damit entsprechende Mangelkrankheiten in Kauf zu nehmen. Oder sie müssen bei anderen Regelsatzbestandteilen Abstriche machen, um mehr Mittel für eine gesunde Ernährung zur Verfügung zu haben. Dann ist noch weniger Geld dafür da, am kulturellen Leben teilzunehmen oder auch mit dem Bus in die Innenstadt zu fahren. Wer sich bewegt, braucht eine Menge Energie. Ein in Größe und Gewicht durchschnittlicher Erwachsener benötigt bei ausreichender Bewegung insgesamt mindestens 2.550 Kilokalorien. Daraus ergibt sich ein aktueller Bedarf für gesunde Ernährung pro Tag von 6,50 Euro statt der ausgezahlten 3,94 Euro. Im Monat sind das an die 80 Euro mehr. Wenn nicht nur der zusätzliche Bedarf für gesunde Ernährung und ausreichende Bewegung anzuerkennen ist, sondern auch der vom Paritätischen Wohlfahrtsverband errechnete höhere Bedarf an Mobilität, Kommunikation und Freizeitaktivitäten in Höhe von ebenfalls etwa 80 Euro, ist ein entsprechender Eckregelsatz notwendig.
Die Mangelernährung mit Hartz IV wird massiv vertuscht. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung zum Beispiel die Ratgeberin der Bundesregierung geht unter anderem vom Energiebedarf von Menschen aus, die viel weniger wiegen und viel kleiner sind als der heutige Durchschnitt. Sie unterstellt Bewegungsarmut, geht nur von Discountpreisen aus und nimmt nur die untersten Preise, nicht die mittleren. Das Thema »Gesunde Ernährung« gehört ins Zentrum der Kritik an Hartz IV.
Mehr Informationen als pdf im Netz:
http://www.500-euro-eckregelsatz.de/mat/foerdern-durch-mangelernaehrung-a5.pdf
Rainer Roth war bis Anfang 2008 Professor für Sozialwissenschaften an der Fachhochschule Frankfurt am Main. Er ist Vorsitzender von Klartext e.V. und arbeitet im Rhein-Main-Bündnis gegen Sozialabbau und Billiglöhne mit.
Krach schlagen Statt Kohldampf schieben Mindestens 80 Euro mehr!
Aufruf zur bundesweiten Demonstration am 10. Oktober in Oldenburg. Bringen Sie Kochtopf und Kochlöffel mit!
Wütend über Milliardengeschenke an Banken und Sparpakete für die Ärmsten der Gesellschaft? Ungläubiges Staunen, dass mit der Streichung des Elterngelds für Hartz-IV-Beziehende in erwünschte und unerwünschte Kinder unterschieden wird? Sauer, dass die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer werden?
Flaues Gefühl im Magen, weil die Gesundheit immer teurer, die Rente immer kleiner und die Zukunft immer ungewisser wird? Null Verständnis dafür, warum es in einer reichen Gesellschaft immer noch keinen gesetzlichen Mindestlohn und kein ausreichendes Einkommen für alle geben soll?
Abgenervt von Westerwelle und Co? Ohnmachtsgefühle, denn was kann man schon tun? Noch in diesem Jahr muss die Bundesregierung die Hartz-IV-Sätze neu berechnen. Viele Erwerbslosengruppen fordern für Erwachsene 500 Euro, viele gewerkschaftliche Initiativen mindestens 440 Euro. Aber noch in diesem Jahr muss es genug Geld geben für eine ausreichende und ausgewogene Ernährung. Für Ernährung gibts heute für Erwachsene nur 118 Euro monatlich, pro Tag 3,94 Euro, für ein 13-jähriges Kind gar nur 2,76 Euro. Das ist ein gesellschaftlicher Skandal. Wenigstens 80 Euro mehr im Monat sind für eine ausreichende und einigermaßen ausgewogene Ernährung notwendig!
Wenig Hartz IV schlecht für alle
Mit Hartz IV sind wir gezwungen, bei Aldi und Lidl einzukaufen. Aber wir wollen nicht als Rechtfertigung für den Preiskrieg der Discounter missbraucht werden. Mit ihrer wachsenden Marktmacht bedrohen sie die Existenz kleiner Lebensmittelproduzenten, sind verantwortlich für unmenschliche Löhne und Arbeitsbedingungen auf der ganzen Welt und zerstören mit immer weiteren Transportwegen die Umwelt.
Uns ist die Qualität unserer Ernährung und unserer Umwelt nicht egal. Und es ist uns auch nicht egal, unter welchen Bedingungen weltweit die Lebensmittel produziert und verkauft werden und wie dabei mit unserer Umwelt und den Tieren umgegangen wird. Wir wollen faire, gerechte und nachhaltige Arbeits- und Lebensbedingungen für alle Menschen auf der ganzen Welt! Mit dieser Einstellung stehen wir nicht alleine da: Gewerkschaften und Landwirte streiten mit uns. Wir bestehen darauf, dass der von allen erarbeitete gesellschaftliche Reichtum gerecht verteilt wird. Jeder Mensch hat ein Recht auf ein menschenwürdiges Einkommen, egal ob er gerade Arbeit hat oder nicht!
Die Demonstration findet am Sonntag, 10. Oktober 2010, in Oldenburg statt. Treffpunkt ist um 13 Uhr an der Südseite des Hauptbahnhofs. Am 9. Oktober findet in Oldenburg eine Veranstaltung zur Neufestsetzung der Regelsätze statt. Einen Fachvortrag hält Rudolf Martens, Experte des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes.
Mehr Informationen im Netz:
http://www.krach-statt-kohldampf.de
· Wir wollen ein Einkommen für alle, das auch für eine gesunde Ernährung ausreicht!
· Wir wollen Arbeitsplätze mit sinnvoller Arbeit und existenzsicherndem Einkommen!
· Wir wollen gesellschaftliche Kontrolle unserer Lebensmittelproduktion!
· Wir wollen eine ökologisch nachhaltige und regionale Versorgung mit Lebensmitteln
Die Artikel sind entnommen aus dem Extrablatt Die Zeitung der Erwerbsloseninitiativen.
Unter dem folgenden Link kann die Zeitung „Extrablatt“ als pdf Datei angesehen, gelesen und herunter geladen werden:
http://www.blog.de/media/document/extrablatt_internet_kl/4936537
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